Natur

 

Das Paradies

Das Paradies
Prolog
Das Paradies als Ort
Das Paradies als natürlicher Zustand
Die Gefühle als natürliche Kommunikation
Die Cherubim

Vor den Gesellschaften war Paradies

Prolog

Das Paradies wird in den abrahamitischen Religionen als ein Ort in der Vergangenheit der Menschheitsgeschichte bezeichnet, aus dem die Menschen vertrieben worden sind. In der Genesis der Bibel wird er recht konkret als Garten Eden beschrieben, der von vier Flüssen eingegrenzt ist und Gott setzte den Menschen in den Garten. Darin steht der Baum der Erkenntnis. Von diesem Baum soll der Mensch auf keinen Fall essen, sonst muss er sterben. Erkenntnis ist in dieser Geschichte todbringend. Das Ergebnis ist bekannt. Der Mensch konnte zwar zwischen Gut und Böse unterscheiden, aber er wurde aus dem Garten Eden vertrieben. [Bild vom angebissenen Apfel]

Im Paradies gibt es kein Gut und Böse.

Am Lebensende gibt es wiederum ein Paradies. Jetzt ist es allerdings der Himmel, der in den abrahamitischen Religionen das Reich Gottes ist. Er ist ebenfalls von Gott geschaffen und soll oben sein. Manche Menschen dürfen dahin aufsteigen und finden sich in einem Umfeld wieder, das an das Paradies erinnert, aus dem sie verbannt worden sind. Die Religion will den gläubigen Menschen darauf vorbereiten. Er kommt also wieder in den vorgeburtlichen Zustand zurück. Gut und Böse bleibt wiederum vor dem Paradies und gibt lediglich die Entscheidungskriterien vor, nach denen der Mensch in das Paradies, in den Himmel, eingelassen wird.

Das Paradies als Ort

Viele Religionen versprechen den Menschen nach dem Tod ein Paradies, in dem es alles in Hülle und Fülle gibt. Niemand muss arbeiten, es gibt die köstlichsten Speisen und Getränke, alles ist schön. Das gilt für die großen Religionen, auch die Untergegangenen, wie die keltische, die ägyptische oder die altgriechische Religion, die das Elysion in Aussicht stellte. Der Islam preist die Schönheit des Paradiesgartens und nach buddhistischem Glauben entscheidet das Karma darüber, ob der Mensch im Paradies bei den Göttern (Devas) wiedergeboren wird.

Bei den naturnahen Religionen gibt es dieses Jenseits mit Paradies nicht. Hier ist die Natur das Paradies und die Götter sind die Natur - die Erde ist die Mutter, der Berg ist der Gott, das Wasser ist göttlich.

Die naturnahen Völker, die Aborigines, die nord- und südamerikanischen Ureinwohner, die pazifischen Völker, die Lappen oder die Tuwa, haben nach ihrer Überzeugung nie das Paradies verlassen oder wurden gar vertrieben. Sie leben seit Jahrtausenden im Einklang mit der Natur. In ihrer Mythologie sind sie nicht von der Natur getrennt und folglich können sie die Natur nicht ausbeuten, ohne sich selbst auszubeuten.

Alle Religionen haben ihren Ursprung in der Natur. Das ist eine triviale Aussage, denn ohne Natur gäbe es weder Menschen noch Religionen. Die Richtung der Abhängigkeit ist deutlich, denn ohne Menschen gäbe es sehr wohl eine Natur. Der Mensch hat sich seit Beginn seiner kulturellen Entwicklung (die mit dem homo heidelbergensis vor 300.000 Jahren begann) an der Natur ausgerichtet und sie geehrt und geachtet. Sie war sein Paradies und er war ein integraler Bestandteil dieses Paradieses.

Das Paradies ist lebenswichtig. Es ist Grundlage und Träger des Lebens, wie das Wasser für einen Fisch. Das Wasser umgibt ihn und es ist in ihm. Das Wasser trägt den Fisch und es nährt ihn. Ein Zweifel an der Lebensgrundlage scheint absurd, denn das Wasser ist für den Fisch einfach da und es gibt keine Möglichkeit, außerhalb des Wassers zu überleben.

Die Luft ist Grundlage des Lebens für Vögel. Luft trägt die Vögel und ermöglicht ihnen das Leben. Ein Zweifel nach der Bedeutung der Luft ist absurd, denn der Vogel kann sich nicht von außerhalb der Luft beobachten. Die Luft ist für den Vogel einfach da.

Das Paradies ist die Grundlage des Lebens für alle Wesen, einschließlich der Menschen. Das Paradies umgibt die Menschen und ist in ihnen. Es nährt die Menschen wie alle anderen Wesen und Pflanzen. Die Frage nach der Bedeutung und Beschaffenheit des Paradieses ist absurd, denn es lässt sich nicht von außerhalb beobachten. Es ist in uns und es ist um uns.

In Wahrheit ist das Paradies in uns.

Das Paradies als natürlicher Zustand

Das Paradies ist die Natur. Das Paradies entsteht mit den Wesen und den Pflanzen. Es wird gebildet von den Wesen, dem Leben und dem vergangenen Leben und es hält den Rahmen, die Nahrung und alle Potenziale für das Leben bereit. Das Paradies ist nicht erkennbar für seine Wesen und damit bleibt es ein Paradies. Wird es erkennbar, dann ist der Beobachter außerhalb des Paradieses. Der Mensch hat das Paradies erkannt und ist zumindest mit den Erfahrungen und den Strukturen des Verstandes außerhalb des Paradieses. Von außerhalb nimmt er ein Paradies ohne sich wahr.

Die Vertreibung aus dem Paradies schneidet den Menschen von seiner Lebensgrundlage ab, wie den Fisch vom Wasser.

In diesem übertragenen Sinne trennt der Verstand den Menschen vom paradiesischen Zustand in seinem Innern. Er entfernt ihn von seiner Seele, von den Gefühlen und dem reinen paradiesischen Glück. Im Mutterbauch und eine Weile nach seiner Geburt ist der Mensch im Paradies. Er braucht sich um nichts zu kümmern, wird genährt und versorgt. Das Baby ist vom Leben erfüllt, es braucht nichts zu tun, erstrebt keine materiellen Dinge, hat keine Ziele und keine Versagensängste. Der Säugling sucht keinen Sinn und denkt nicht über seine Lage nach. Er ist einfach da.

Den paradiesischen Zustand wollen wir bis zu unserem Lebensende immer wieder erreichen. Zwischenzeitlich geht uns das Paradies verloren und wir füllen die Lücke zu dem reinen Sein ohne Erwartungen mit flüchtigen Glücksgefühlen oder Glücksersatz wie Macht und materiellen Besitz.

Macht ist Glücksersatz.

Der Austritt aus dem Paradies beginnt mit der Wahrnehmung der Außenwelt des Säuglings und setzt sich über die Erlebnisse, die Erinnerungen und die Festigung von Strukturen im Leben fort. Diese Ereignisse und Lebensumstände lassen die Seele leben oder schränken sie in ihrer Bestimmung und den Entfaltungsmöglichkeiten ein. Ich bezeichne den Verstand deshalb je nach Zusammenhang als den Aufpasser oder den Wächter für die Seele.

Übertragen wir die Metapher vom Paradies und der Vertreibung auf die Menschen in der vom Christentum geprägten westlichen, technischen Kultur. Menschen kommen wie alle anderen Wesen mit Gefühlen in dieses Leben und die Seele ist im Paradies.

Sie haben nur ihre Bestimmung und alle Möglichkeiten. Mit der ersten Einschränkung entsteht ein Stein in der Mauer der Randbedingungen und reduziert die verbleibenden Möglichkeiten. Jeder neue Stein festigt eine Randbedingung des Lebens. Jedes weitere Erlebnis, jede Erinnerung trägt zu der Struktur bei. Mit den ersten Worten des Säuglings wird zum Beispiel die Muttersprache festgelegt.

Die Gefühle als natürliche Kommunikation

Viele Tiere, die wir beobachten und studieren können, reagieren auf die Gefühle und unbewussten Zeichen der Menschen ebenso wie auf die der anderen Tiere. Wenn ein Mensch Angst hat, geht der Hund hin, braucht der Mensch Wärme, legt die Katze sich auf seine Füße, zwitschern die Vögel, empfindet der Mensch Freude. Es gibt zwischen allen Wesen eine Verbindung auf der Gefühlsebene und diese Verbindung ist paradiesisch.

Soweit wir es wissen oder erahnen können, gibt das Leben in der Natur die Gefühle allen Wesen. Es ist ein Geben, ohne zu verlieren. Die Gefühle entstehen in einem paradiesischen Netzwerk. Sie werden gegeben und trotzdem behalten, sie vermehren sich wie die Liebe in einem Netz. Liebe ist ein paradiesisches Gefühl, das wie die Gravitation anziehend wirkt. Es ist unendlich und vermehrt sich.

Gefühle bilden ein Netzwerk.

Liebe ist das universelle Gefühl im Netzwerk zwischen den Wesen, so fundamental wie die Gravitation im Netzwerk zwischen den materiellen Gegenständen. Die Materie ist gewesenes Leben, wie die Gravitation gewesene Liebe ist. Der Wortstamm ‚mater‘ weist auf die Randbedingungen als die Mutter des lebenden Lebens hin. Die Materie ist nicht das Ende des Lebens, sondern die mütterliche Randbedingung des neuen Lebens.

Passen die Randbedingungen zu dem individuellen Leben, dann wird dieses integrierte Zusammenspiel als ‚Geborgenheit‘ wahrgenommen, aus der das persönliche Glück resultiert. Das Glück ist da, wir haben es in unsere Lebenswelt mitgebracht. Wenn wir es nicht erkennen, oder uns unglücklich fühlen, haben wir uns selbst verloren. Uns fehlt dann die Orientierung in unserem Paradies. Das ist eine andere Darstellung, als wären wir außerhalb des Paradieses, das dann ohne uns an anderer Stelle oder in anderen Zeiten weiterhin existiert.

Das Gefühl der Geborgenheit ist für uns ein Signal, dass wir nahe an dem paradiesischen Zustand sind, der uns Eins sein lässt mit der Natur.

In unserer materiellen Kultur wird das Paradies zu einem Ort vergegenständlicht, von dem der Mensch ausgeschlossen werden kann. Das führt zu inneren Widersprüchen, wie wir noch sehen werden.

In einer spirituellen Betrachtungsweise hat das Paradies keinen Ort und keinen Zeitpunkt in der Unendlichkeit. Das führt zu Kontroversen mit verstandesorientierten Erklärungen der materiellen Welt.

In einer materiellen Betrachtung sehen wir die Arten mit spezifischen Wahrnehmungsorganen ausgestattet, die ihnen ihr individuelles Leben ermöglichen und die Potenziale nutzen lassen, die in ihrer Struktur bereitstehen. Sie orientieren sich damit in ihrer Lebenswelt und erkennen ihre Möglichkeiten.

Leben ist die Nutzung von Möglichkeiten.

Mit der Wahrnehmung wird die Brücke zwischen den Gefühlen und der Körperlichkeit geschlagen. Die Wahrnehmung rührt die Gefühle an und induziert Aktionen oder Reflexe. Auf diesem unmittelbaren Weg hört die Seele zu und antwortet mit Gefühlen, Aktionen oder Reflexen - es sei denn, der Verstand schiebt sich dazwischen. Das ist eine typisch menschliche Zwischenstufe, die andere Wesen nicht betrifft.

Die intellektuelle Zwischenstufe birgt tatsächlich die Gefahr, dass der Mensch sich ‚bewusst‘ in eine Rolle begibt, die ihn von seinem Paradies abriegelt.

Die Rolle steht dem Glück im Weg.

Die Cherubim

Nach der Vertreibung aus dem Paradies sollen Cherubim den Weg ins Paradies versperren und den Lebensbaum bewachen, damit die Menschen sich daran nicht vergreifen können und unendlich lange leben, wie Gott.

Die Unendlichkeit kann nichts Gegenständliches sein, denn alles Gegenständliche oder Materielle ist endlich, es wird bei Teilung weniger. Für die Vorstellung vom unendlichen Leben müssen wir wieder auf die Gefühle zurückgreifen, die die Welt durchdringen. Sie sind unendlich. Ein Gott lebt unendlich lange, wenn er das reine Gefühl ist.

Der Lebensbaum in dem biblischen Bild des Paradieses symbolisiert das reine Gefühl und der Baum der Erkenntnis symbolisiert den Verstand, den der Mensch aus dem Paradies mitgenommen hat. Mit dem Verstand kommt der Mensch nicht an die Gefühle. Die Cherubim verteidigen den Zugang zum Baum der Gefühle mit dem Flammenschwert. Das Schwert versetzt den Eindringling in das Paradies in Todesangst.

Angst versperrt den Weg zu den Gefühlen.

Unter Einsatz des Verstandes kommt der Mensch nicht in das Paradies zurück.

Nach seinem physischen Tod soll er jedoch wieder in das Paradies kommen können. Im übertragenen Sinne wird er mit seinen Gefühlen an den Cherubim vorbeikommen und sich in einem Paradies wiederfinden. Die Gefühle ohne Zeit und Raum, die unendlichen Gefühle, haben Zutritt zum Paradies. Sie können von materiellen Waffen wie dem Flammenschwert der Cherubim nicht gestoppt werden.

Gefühle finden den Weg ins Paradies.

Über unsere Gefühle sind wir immer mit dem Paradies verbunden. Der Verstand wird mit dem vergänglichen Körper gehen und mit ihm gehen auch alle Wertungen von Gut und Böse und die Angst vor dem Zutritt zu den Gefühlen. Mit dem Verstand gehen die Unterscheidungen zwischen uns und den anderen Wesen. Es bleiben die Gefühle.

Wir haben von den Früchten des Baumes der Erkenntnis gegessen und diese Möglichkeiten der Wertung bei der Vertreibung aus dem Paradies mitgenommen. Was aber erkennt der Mensch?

Wir können unser Paradies nicht betrachten, obwohl wir versucht sind, mit unseren Sinnen und unserem Verstand eine Art von Selbsterkennung zu formulieren. Es bleibt ungewiss, ob wir tatsächlich unser Selbst erkennen. Als Betrachter sind wir nicht im Paradies, sondern wir nehmen ein Paradies ohne uns wahr.

Die Rolle des Betrachters ist die Ursache für den Austritt aus dem Paradies. Wir brauchen für diese Erkenntnis keinen Apfel. Dem Verstand können wir für den Austritt aus dem Paradies nicht pauschal die Schuld zuweisen. Es gibt Wesen mit einer anderen Art des Verstandes, die wahrscheinlich noch im Paradies leben. Zur Vertreibung hat vielmehr die Anwendung des Verstandes zur Wertung, Quantifizierung, Strukturierung und Logik geführt - der Verstand als Verwalter der Logik. Die Reduktion des Fundamentes der Logik auf die zweiwertige Logik trifft es genauer. Damit ist eine Aussage wahr oder falsch, Materie ist existent oder nicht, etwas ist Teil oder Ganzes und der Mensch ist drinnen oder draußen am Paradies. Die endliche Ramsdera wird zur Basis des Lebens außerhalb des Paradieses.

Die Natur hat keine zweiwertige Logik, was die Feststellung, der Mensch sei nicht im Paradies, fragwürdig erscheinen lässt. In einem weiteren Beitrag nehmen wir diesen Zweifel zum Ausgangspunkt und werden eine schamanische Sicht darlegen, in der die Wesen sowohl im, als auch außerhalb des Paradieses sind.

Die Einteilung in Gut und Böse ist ebenfalls eine zweiwertige Logik. Sie lässt sich nicht aus der Natur herleiten, sondern braucht eine Wertung oder eine Ethik. Jede Wertung hat eine verabredete Basis, gegen die gewertet wird.

Die Ethik ist das Maß, vor dem Gut und Böse bewertet werden. Damit wird die Aufgabe der Erkenntnis auf eine andere Ebene gehoben:

Hat der Mensch eine Ethik aus dem Paradies mitgenommen?
oder:
Hat der Mensch sich eine Ethik ausgedacht?

Die Antworten auf diese Fragen führen uns entweder zu Gesellschaften nahe der Natur oder zu Gesellschaften fernab der Natur.

Nahe am Paradies wird in einem schamanischen Kosmos die Ethik vitazentriert sein. Das Leben der Erde folgt seinen Möglichkeiten und damit wird es ‚in seinem Glück‘ oder ‚in seiner Harmonie‘ bleiben. Wenn der Mensch sowohl innerhalb, als auch außerhalb des Paradieses ist, auf welcher Basis soll er eine Ethik ableiten? Davon wissen wir mehr, wenn die schamanische Sicht in einem weiteren Beitrag ausgeleuchtet ist.

Schieben sich der Verstand, die Konvention, die Religion, teleologische Ethiken oder andere anthropozentrische Werte zwischen das Paradies und die Handlungen, dann entfernt sich die Erkenntnis von Gut und Böse von der Natur und dem Lebensprinzip (zoë). Die Handlungen entsprechen nur noch einem von Menschen festgelegten Abbild des Göttlichen.

Es gibt Gesellschaften im Licht Gottes oder in seinem Widerschein.